Schluss mit höher schneller weiter

Der Selbstverbesserungswahn ist allgegenwärtig – wann es sich lohnt, die Bremse zu ziehen

Bei allen Problemen und allem Leid, die die Corona-Krise mit ihren Lockdowns verursacht hat, hatte sie für viele Menschen auch eine positive Seite: mehr Zeit, sich den eigenen Interessen zu widmen und an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten.

Überhaupt, Effizienzsteigerung und Selbstoptimierung liegen im Trend. Nur – kann man sich auch zu viel verbessern wollen? Über Warnsignale und das gesunde Maß an Optimierung.

Es liegt in unserer Natur

Besser werden zu wollen, liegt in der Natur des Menschen. Doch was unser Leben tatsächlich besser macht und uns als Individuum guttut, ist gar nicht so leicht zu sagen. Schließlich gibt es so vieles, das sich optimieren ließe.

Das Gewicht und der Körperfettanteil. Die politische Bildung und die Belesenheit. Die Sprachkenntnisse und das Allgemeinwissen. Die Ausdauer, die Muskeln und die Dehnbarkeit, die Verbundenheit zur Natur, das Wissen um Aktienmärkte, die Kochkünste, die Sozialkompetenz und und und … Wow. Das ist echt ganz schön viel. Und mit ein wenig Nachdenken findet sich sicher noch jede Menge mehr. Was uns zu einer ersten Erkenntnis bringt: Selbstoptimierung kann ganz schnell ein Fass ohne Boden werden.

Privat wie beruflich ein schmaler Grat

Lockdown-Zeit hat man doch besser zu erzählen, wie man die Zeit sinnvoll genutzt hat. Wo entrümpelt. Wo verbessert. Wo dazugelernt. Was direkt zu einem der Hauptprobleme von Selbstoptimierung führt: Man vergleicht sich. Mit Nachbarn, Freunden, Verwandten. Mit Kollegen, Sportlern, Stars.

Nur ist es so: Niemand kann überall der oder die Beste sein. Der Dauerdruck, sich selbst – und schlimmer noch Partner oder Kinder – besser machen zu müssen, wird so schnell zu einer seelischen Belastung, die Kraft rauben und Verzweiflung säen kann. Klar – Selbstmotivation ist eine tolle Sache. Und hinter Erfolg steht fast immer Schweiß und harte Arbeit mit viel Übung und ständigen Lernprozessen. Wer hier aber zu verbissen agiert, riskiert Frust und im schlimmsten Fall einen Burnout.

Eine Frage der Balance

Das Fiese dabei: Der Optimierungs- und Zeiteffizienz-Wahn schleicht sich oft unbemerkt ein. Da wird am Frühstückstisch der erste Wirtschafts-Podcast gehört. Beim Joggen dank Smartphone eine Sprache geübt. Und am Rechner sind ständig Tabs mit Tipps zu mehr Leistungsfähigkeit und weniger Schlafbedarf offen. Dabei ist gerade Letzteres oft eine Illusion. Denn wer wirklich hochkonzentriert arbeitet, trainiert oder lernt, braucht danach Regenerationsphasen. Andernfalls leidet die Merkfähigkeit, werden die Muskeln überbeansprucht und passieren Fehler.

5 Denkanstöße zum Thema Selbstoptimierung

1. Stress, Stress, Stress

„Sie können mehr. Sie können alles schaffen. Es gibt keine Ausflüchte. Get rich or die trying.“ Mit diesen und ähnlichen Botschaften lassen sich viele in den ständigen Selbstverbesserungswahn treiben. Ohne Ruhe, ohne echtes Glück. Bleiben Erfolge dennoch aus, wird der so entstandene Stress zu Frust und schnell auch zur seelischen Belastung.

2. Du bist okay, wie du bist

Nobody is perfect. Und irgendwer immer besser, egal, wie gut man ist. Bei allem Ehrgeiz sollte man sich immer wieder klarmachen: Man kann nicht überall top sein. Viel wichtiger ist, sich selbst anzunehmen und zu lieben, wie man ist. Auch mit Fehlern. Und wenn optimiert wird, dann da, wo man es selbst von Herzen möchte – und nicht dort, wo es fremde Erwartungshaltungen diktieren.

3. Komm einmal runter

Entspannen ist so hilfreich. Denn was oft und gerne verschwiegen und vergessen wird: Nicht nur zur Selbstoptimierung ist Zeit für sich gut. Sondern auch zur Entschleunigung. Zum Zur-Ruhe-Kommen, durchatmen, Seele baumeln lassen. Gelingt das, sieht man auch viel klarer, worin man wirklich Energie investieren möchte.

4. Brauche ich das wirklich?

Fitnesstracker. Eiweiß-Shakes. Podcast-Abos. Ratgeber, Trainingsgeräte, Kosmetika … Optimierung ist oft auch eine große Konsummaschine. Und zwingt uns dazu, Dinge zu kaufen, die wir weder wirklich wollen noch wirklich brauchen. Ob das langfristig wirklich zufriedener macht, darf zumindest hinterfragt werden.

5. Soll ich‘s wirklich machen …

Ist Selbstoptimierung also etwas Schlechtes? Auf keinen Fall. Geistig und/oder körperlich Fortschritte zu machen, ist wunderbar! Wichtig ist nur, dabei nicht äußerem Druck nachzugeben, in ein Hamsterrad aus Zwängen zu geraten oder alles auf einmal zu wollen – sondern sich aus dem eigenen, inneren Antrieb heraus bewusst Bereiche in seinem Leben zu suchen, in denen man wachsen und besser werden will. Da ist dann auch jeder kleine Erfolg sehr viel befriedigender als das ständige Hinterherhetzen.

Veröffentlicht: 06.08.2021 - Aktualisiert: 07.02.2024